Literaturtipp – Straight outta Kaiserslautern
„Schön ist die Nacht“, eine Geschichte von Unten, erzählt von Christian Baron
Da ist er nun: Der zweite Kaiserslautern-Roman von Christian Baron. War „Ein Mann seiner Klasse“ noch mehr ein Kammerspiel, dessen Hauptteil sich mehr oder minder in den eigenen vier Wänden der Familie abspielte, versetzt einen „Schön war die Nacht“ in das grobkörnige Autorenkino der 70er und 80er Jahre. Nur spielt die Handlung nicht in einer der Metropolenstädte Westdeutschlands, sondern direkt vor der Haustüre. Straight outta Kaiserslautern. Eingetaucht in den damals allgegenwärtigen Dunstwänden aus Bier, Schweiß und Nikotin. Holzgetäfelte Tresen, viel zu laute Dattelmaschinen und Musikboxen. Viel zu kleine Wohnungen mit viel zu vielen Menschen drin. Unrenoviert und runtergerockt. Den Kalkofen kennt nach der Vox-Doku und den Diskussionen um Armenviertel und Schlichtwohnungen halb Deutschland. Die Geschichten der Berliner Straße und anderer dunkler Ecken Kaiserslautern noch nicht einmal die Einheimischen. Christian Baron erzählt davon.
Aber auch vom legendären siebenzuvier des FCK gegen die Bayern, langen Fußwegen von der Stadt Richtung Fischerrück, Ausflüge an den Gelterswoog. Busfahrten mit der 107 und vielen Details, die fast jeder Lautrer zuordnen kann.
Der Autor ist dafür weiter in die Geschichte seiner Familie eingetaucht, hat sich in die Welt der Großeltern begeben. In eine Zeit in der er selbst noch gar nicht geboren war. Die Protagonistinnen seiner selbst erlebten Kindheits und Jugendgeschichte aus dem Vorgängerroman, seine Mutter Mira und Tante Juli sind hier selbst noch Kinder, später Jugendliche. Deren Vater Willy und sein Freund Horst, seines Zeichens Vater seines Vaters sind die zentralen Figuren des Romans. Ersterer strebt wie weiland Döblins Franz aus Berlin Alexanderplatz nach einem auskömmlichen Leben durch ehrliche Arbeit und Redlichkeit. Der Horst ist eher der Typ, der dann lieber mal eine Abkürzung nimmt. Beide sind irgendwo Versager. Dafür lieben und hassen sie mal sich selbst und mal ihren Gegenüber. Sie trennt von der Mentalität her einiges, aber sie verbindet noch mehr. Beide rauchen und trinken viel, lösen notfalls Probleme und Konflikte mal handfest und haben kein Interesse an Politik.
Womit wir bei einer weiteren zentralen Figur sind: Willys Mutter Hulda, Kommunistin mit großem Gemeinsinn, die ihren Sohn dazu bringen will mehr Klassenbewusstsein zu entwickeln, in die Gewerkschaft zu gehen und sich mit den Gastarbeitern zu vereinen, anstatt rassistische Sprüche zu reißen. Viel Erfolg hat sie bei ihrem Sohn zwar nicht, aber dafür stärkt sie ihre Enkelkinder. Hier kann man herauslesen, woher gerade Tante Juli die in „Ein Mann seiner Klasse“ gezeigte Resolutheit und ihr Durchsetzungsvermögen hat.
Das was dieses Buch außerhalb der Familiengeschichten aufscheinen lässt ist ein Potpourrie an gescheiterten Hoffnungen, Plänen und die Unbarmherzigkeit des Alltags. Die Chancenlosigkeit mit ehrlicher harter Arbeit genug zu verdienen um in eine bessere Wohngegend zu kommen, die Familie durchzubringen. Der sich anhäufende Frust, der oft einfach nur ertränkt wird und gerade damit wiederum neue Spiralen von Konflikten anheizt oder ans Tageslicht befördert. Versuche dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen, die dann in noch mehr Chaos und Zerstörung enden. Geschichten, die so allgemeingültig für das Leben einer Klasse sind, das sich diese auch im Ruhrgebiet oder anderswo verorten lassen. Nur der Dialekt ist ein anderer. Deshalb ist dieses Buch auch kein Heimatroman.
Christian Baron zeigt hier in klarer Sprache und einer großen Wahrhaftigkeit in den Dialogen auf, warum diese Menschen so sind wie sie sind. In ihrer Verbohrtheit, dem unmenschlich Menschlichen. Gerade die Typen kann man nicht mögen. Muss man auch nicht. Der Autor macht aber auch noch was anderes: Er macht die Barrieren sichtbar. In der Ausbeutung durch Hire&Fire-Chefs, über Schule, der falschen Wohnadresse, dem Habitus, der so fest sitzt wie eine Haut aus der man nicht heraus kann. Da hat sich kaum etwas geändert. Materiell nicht die Bohne.
Carsten Ondreka
Schön ist die Nacht - Christian Baron
Ullstein-Claassen | Hardcover mit Schutzumschlag | 384 Seiten | ISBN: 9783546100267
Der Vorgängerroman: Ein Mann seiner Klasse - Christian Baron
Ullstein-Claassen | Hardcover | 288 Seiten | ISBN: 9783546100007